Friedensnobelpreis 1973: Henry Kissinger — Le Duc Tho

Friedensnobelpreis 1973: Henry Kissinger — Le Duc Tho
Friedensnobelpreis 1973: Henry Kissinger — Le Duc Tho
 
Der amerikanische Außenminister und der vietnamesische Politiker erhielten den Friedensnobelpreis für die Herbeiführung eines Waffenstillstands im Vietnamkrieg.
 
 Biografien
 
Henry Kissinger, * Fürth 27. 5. 1923; 1962 Professor für Politikwissenschaften an der Harvard University, 1969-73 Sicherheitsberater von Richard Nixon, 1973-77 US-Außenminister.
 
Le Duc Tho, * Dich (Provinz Nam Ha) 14. 10. 1911, ✝ Hanoi 13.10.1990; 1930 Gründungsmitglied der Kommunistischen Partei Indochinas, 1951-86 Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei Nordvietnams.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Die Verleihung des Friedensnobelpreises von 1973 gilt nicht als Ruhmesblatt in der Geschichte dieses Preises. Er wurde vergeben als Anerkennung für diplomatische Bemühungen in einem Krieg, der noch nicht beendet war. Das Komitee selbst war in seiner Entscheidung unsicher — drei Mitglieder stimmten dafür, zwei dagegen. Einer der Preisträger nahm die Auszeichnung nicht an, der andere gab sie später zurück. Und die Weltöffentlichkeit reagierte mit Verwunderung.
 
 Krisenherd Indochina
 
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Indochina zu einem internationalen Krisenherd. Wie viele andere Länder strebte auch Vietnam danach, das Joch der Kolonialherrschaft abzuschütteln. Treibende Kraft im 1946 einsetzenden Kampf gegen die französischen Kolonialherren waren die kommunistischen Vietminh (Liga der Verbände für die Unabhängigkeit Vietnams) unter der Führung von Ho Chi Minh. Nach der Genfer Indochinakonferenz von 1954 verließen die Franzosen das Land. Vietnam wurde in der Höhe des 17. Breitengrades geteilt. Der Norden mit elf Millionen Einwohnern und der Hauptstadt Hanoi kam unter die Herrschaft der Vietminh. Die Regierung in Südvietnam mit 23 Millionen Einwohnern und dem Zentrum Saigon bildete Ngo Dinh Diem.
 
Von Anfang an bestand ein scharfer Gegensatz zwischen dem kommunistischen Nordvietnam und dem von Ngo Dinh Diem autoritär geführten Südvietnam. Die USA sahen in Südvietnam ein Bollwerk gegen den Kommunismus in Ostasien und unterstützten das Land unter anderem durch die Entsendung von Militärberatern. Daraufhin formierte sich in Südvietnam Widerstand sowohl gegen das harte Regime Diems als auch gegen die Anwesenheit der Amerikaner. Die Nationale Befreiungsfront von Südvietnam, von ihren Gegnern Vietcong genannt, begann einen Guerillakrieg, der vom kommunistischen Nordvietnam unterstützt wurde. 1964 griffen die USA erstmals aktiv in die Auseinandersetzungen ein. In den folgenden Jahren nahm der Krieg immer größere Dimensionen an. Ständig stieg die Zahl der in Vietnam stationierten US-Soldaten, Flugzeuge bombardierten Stellungen des Vietcong und Städte in Nordvietnam. Der Einsatz von Napalmbomben und chemischen Waffen forderte auch bei der Zivilbevölkerung unzählige Opfer. Amerikanische Bomben fielen auch auf Vietnams Nachbarländer Laos und Kambodscha, um die dortigen Nachschubwege des Vietcong zu unterbrechen. Je länger der Krieg dauerte und je brutaler er wurde, desto lauter wurden die Proteste. Washington erlebte im November 1969 die größte Demonstration in seiner Geschichte, als 250 000 Menschen gegen den Krieg auf die Straße gingen. Die amerikanische Regierung sah sich nun zum Umdenken gezwungen. Bis dahin war man der Auffassung gewesen, das mächtige Amerika mit seiner großen Militärmaschinerie werde sich gegen das kleine Vietnam durchsetzen. Doch 1969 musste die Weltmacht USA eine ernüchternde Bilanz ziehen: Der Krieg in Vietnam hatte inzwischen 30 Milliarden Dollar gekostet, man hatte knapp 540 000 Soldaten nach Vietnam geschickt, von denen 31 000 ums Leben gekommen waren.
 
 Verhandlungen in Paris, Kämpfe in Vietnam
 
Bereits 1968 hatten in Paris erste Sondierungen für Friedensgespräche zwischen den Vertretern der USA, Nordvietnams und des Vietcong begonnen. Diese wurden 1969 von dem amerikanischen Präsidenten Richard Nixon forciert. Ab Februar 1970 führte für die Amerikaner Nixons Sicherheitsberater Henry Kissinger die Verhandlungen in Paris. Der deutschstämmige Kissinger hatte sich zuvor als Politikwissenschaftler und Berater zahlreicher Präsidenten einen Namen gemacht. Sein Gegenüber am Pariser Verhandlungstisch war Le Duc Tho. Er hatte gegen die französische Kolonialbesatzung gekämpft, war deswegen Jahre im Gefängnis gewesen und war schließlich zu einer führenden Figur der kommunistischen Regierung Nordvietnams aufgestiegen. Die Verhandlungen verliefen zäh und stockend, drehten sich häufig um die Sitzordnung oder um die Form des Verhandlungstisches. Nach der Darstellung Kissingers blockierte Le Duc Tho alle Bemühungen um eine friedliche Lösung, die nicht mit den Vorstellungen Hanois übereinstimmten. Vor allem beharrte er darauf, dass Nordvietnam die führende Macht in Indochina sein müsse. So gingen, während sich in Paris die Delegationen stritten, die Kämpfe in Vietnam weiter.
 
Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen brachte schließlich ein von Kissinger eingefädelter Coup: Im Februar 1972 besuchte Nixon als erster US-Präsident die Volksrepublik China. Der Kontakt der USA mit der größten Macht in Ostasien und das Scheitern einer militärischen Offensive im Frühjahr 1972 bewegten die nordvietnamesische Führung zum Einlenken. Am 27. Januar 1973 wurde in Paris die »Vereinbarung über die Beendigung des Kriegs und die Wiederherstellung des Friedens in Vietnam« unterzeichnet, in der sich die Amerikaner bereit erklärten, ihre Truppen abzuziehen. Für Vietnam wurde eine umfassende Friedensordnung mit dem Fernziel der Wiedervereinigung von Nord- und Südvietnam vereinbart.
 
Am 16. Oktober 1973 bekamen Kissinger und Le Duc Tho den Nobelpreis »für ihre Bemühungen um die offizielle Beendigung des Vietnamkriegs« zugesprochen. Aus Sicherheitsgründen nahm Kissinger die Auszeichnung nicht persönlich in Empfang. Le Duc Tho lehnte den Preis mit der Begründung ab, die Amerikaner würden, obwohl sie ihre Truppen aus Vietnam abgezogen hatten, die Pariser Vereinbarung nicht einhalten. Tatsächlich hatten sie den Großteil ihrer Waffen den Südvietnamesen überlassen. Doch dürfte Le Duc Tho andere Gründe gehabt haben. Im April 1975 überrollten nordvietnamesische Truppen Südvietnam und eroberten am 30. April 1975 Saigon. Die in Paris ganz anders geplante Wiedervereinigung Vietnams wurde nun vom kommunistischen Nordvietnam gewaltsam und zu seinem Nutzen realisiert.
 
Für die USA wurde Vietnam zu einem Trauma — nicht nur wegen der 58 000 gefallenen US-Soldaten und der psychischen Folgen des Kriegs für die Heimgekehrten. Es wurde auch zum Symbol des Scheiterns einer Supermacht. Kissinger schickte nach dem Fall Saigons Diplom und Medaille an das Nobelpreiskomitee in Oslo zurück. Seine Bitte um die Angabe einer Kontonummer für die Rücküberweisung des Preisgelds hat das Komitee bis heute nicht beantwortet.
 
H. Sonnabend

Universal-Lexikon. 2012.

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